Salamu alaikum und Hallo liebe Leser/innen,
Ich habe heute die Ehre, euch das erste Interview einer zukünftigen Interview-Reihe vorzustellen. Es wird um verschiedene Themen gehen, die in den Body-Mind-Soul-Bereich passen, insbesondere auch um muslimische Frauen, die etwas besonderes erreicht haben bzw.machen. Ihr dürft gespannt sein!
Heute geht es um das Thema Meditation im Islam. Meditation ist der derzeitige Hype schlechthin, man könnte fast sagen, dass die Gesellschaft Meditation mit den üblichen Religionsformen ersetzt hat. Wie steht also der Islam zur Meditation? Passt das überhaupt zusammen? Werden sich einige spätestens jetzt fragen. Denn Islam ist eine sehr rationale Religion, bei der nichts ohne Dalil (Beweis) übernommen wird. Wo ist da noch Platz für Spiritualität?
Um Fragen wie solche wird es in unserem heutigen Interview gehen. Ich werde die Ganzheitliche Kosmetologin und frühere Islamstudentin `Asiya_Seysey´ zu diesem Thema befragen, die sich schon seit einem Jahrzent mit der Meditation auseinandersetzt, sie praktiziert, und zugleich eine Konvertitin zum Islam ist. Let´s get started!
1.As salamu alaikum liebe Asiya, erzähl uns doch mal, wie du überhaupt auf das Thema Meditation gekommen bist!
Wa alaikum salam. An einem Punkt in meinem Leben, wo Unruhe, Rastlosigkeit und gar Angstzustände aufgrund von Leistungsdruck überhand genommen haben, bin ich auf die Meditation gestoßen.
Wenn man die Studie der pronova BKK hat 2018 anschaut, sieht man, dass meine Situation längst kein Einzelfall war: Studienergebnisse davon ergaben, dass sich 87 (!) Prozent der Menschen in Deutschland gestresst fühlen und bereits Symptome eines Burn-Outs haben!
Ein Burn-Out zwingt einen in die Knie, die überlastete Seele nimmt sich einfach die Ruhe die sie braucht, wenn der Mensch verlernt hat, auf sie zu hören. Die Seele zieht sozusagen alle Register, damit man endlich aus dem selbst-schädigenden Fluss der Unachtsamkeit ausbricht und den Fokus nach innen, zu sich, lenkt. Bevor es so weit kommt, hat man meist schon fast komplett den Zugang zu dem eigenen Selbst verloren und funktioniert nur noch. So oder so ähnlich war es bei mir.
2. Meditierst du selber? Welche Bedeutung hat für dich die Meditation, was `gibt´ sie dir?
Ich würde lügen, wenn ich behaupte, dass ich regelmäßig mehrmals täglich meditiere, aber vornehmen tu ich es mir immer. Aber einmal am Tag eine kurz gehaltene Atem-Meditation, um im wahrsten Sinne des Wortes kurz durchzuatmen, ist schon drin. Es gibt da ja mehrere, ganz individuelle Variationen, und nicht DIE EINE Meditation. Es hilft mir, mich wieder zu setteln, mal kurz Abstand vom Trubel des Alltags zu nehmen, und in mich reinzuhorchen- wie geht es mir gerade?
Vor allem Menschen, die etwas sensibler und empathischer auf ihre Umgebung reagieren, und alle möglichen Emotionen und Reize wie ein Schwamm aufsaugen, profitieren von so einer kurzen Atem-Meditation, um sich mal kurz zu „entladen“ und wieder ganz bei sich anzukommen.
3. Gibt es Meditation im Islam, bzw. ist das miteinander vereinbar?
Da müssen wir zuerst einmal die Frage klären, was ist eigentlich Meditation? Die meisten Muslime denken bei Meditation direkt an ein buddhistisches oder hinduistisches Ritual. Wenn ich von Meditation rede, spreche ich aber von einem Bewusstseinszustand, einer Haltung, die auf Achtsamkeit begründet ist.
Achtsamkeit ist eine wertfreie, hingebungsvolle Betrachtungsweise des gegenwärtigen Momentes.
Wenn man spielende Kinder beobachtet, sieht man, dass sie völlig präsent in ihrem Tun versinken und einfach ganz bei der Sache sind, ohne es zu hinterfragen. Wenn man mit Kindern in die Natur geht, nehmen sie alle Eindrücke mit dieser spielerischen, aber zugleich hingebungsvollen Neugier auf. Oft bleiben sie stehen und blicken für mehrere Momente einen Vogel oder Baum an.
Anstatt sie zu hetzen und mit unserer „erwachsenen Hektik- Mentalität“ anzustecken, sollten wir uns lieber ein Beispiel an ihnen nehmen und sie in diesem Moment verweilen lassen. Viel zu früh werden sie mit dem gesellschaftlichen „Überholspur-Drang“ konfrontiert, dem wir Erwachsene meist schon völlig unterliegen. Und hier sind wir an dem Punkt, wo auch ein Gebet nur noch zu einem routinemäßigen Bewegungsablauf wird. Wir, das heißt, wir Muslime, haben die Ruhe verloren, die Kernessenz, eben die Achtsamkeit. Wie viel Wert ist dann das Gebet, was ich ohne Geistesgegenwärtigkeit pflichtbewusst verrichte? Die Antwort kann jeder selbst beantworten, aber um auf deine Frage zurückzukommen: Eine meditative Haltung sollte die Essenz jeder gottesdienstlichen Handlung sein!
4. Ist das muslimische Gebet deiner Meinung nach mit Meditation zu vergleichen?
Im Prinzip schließt das an die vorherige Frage an 🙂 Nachdem wir das Gebet mit „Allahu Akbar“ beginnen, zählt nur noch Allah und das Gebet zu Ihm. Eigentlich. Doch oftmals fangen in diesem Moment erst recht die Gedanken über den nächsten Einkauf, der Streit mit der besten Freundin, und und… zu kreisen an, das kennt jeder nur zu gut. Das Gleiche gilt für das Aussprechen der Ahdkar [Gedenken Allah´s].
Nur wenn wir auch wirklich achtsam bei dem sind, was wir gerade tun, können wir vollends davon profitieren. Die Kunst ist es, ablenkende Gedanken ziehen zu lassen, und den Fokus auf die Gebetshandlungen zu setzen die wir gerade in dem Moment verrichten. Und das ist Meditation.
5. Was konntest du bisher in der muslimischen Gemeinde bezüglich Meditation feststellen? Sind sie generell offen für dieses Thema?
Das Gegenteil ist leider der Fall. Bei dem Wort „Meditation“ gehen bei ihnen meist schon die Alarmglocken los und dann ist kein konstruktives Gespräch mehr möglich. Obwohl genau diese Personen ein wenig Meditation bitter nötig hätten 🙂 Aber es wird nach wie vor direkt mit Polytheimus assoziiert. Ich wünsche mir, dass die Muslime mehr anfangen zu differenzieren und etwas über den Tellerrand blicken.
6. Gibt es Unterschiede bei den Meditationen?
Wie schon erwähnt gibt es etliche, unzählige Situationen, die man in eine Meditation umwandeln kann. Das achtsame Betrachten der Natur, achtsames Laufen, sogar achtsames Zähneputzen… alles Meditation!
Regelmäßig eignet sich die Atem-Meditation, für die man sich an einen ruhigen Ort zurückzieht und für einige Minuten den natürlichen Atemfluss – ohne ihn wissentlich zu beeinflussen- beobachtet (es eignet sich dafür die Stoppuhr auf dem Handy, was man für die Zeit dann aber bitte auf lautlos schaltet). Wenn man etwas routinierter darin wird, kann man die Meditation immernoch weiter ausbauen, z.B. mit dem „Bodyscan“. Ziel der regelmäßigen Atem-Meditation ist es, immer wieder bei sich anzukommen und die Achtsamkeit weiter zu trainieren.
7. Kann jeder das Meditieren lernen? Und wo am besten?
Wie schon gesagt, jeder trägt den „achtsamen Beobachter“ in sich, nur verlieren wir im Laufe des Lebens durch genannte Umstände den Bezug zu ihm. Wir sind zu abgelenkt, zu beschäftigt, zu zerstreut um uns mit ihm zu verbinden.
Der Weg zur Achtsamkeit ist ein ständiges Training, es ist der Weg aus der Zerstreutheit in die Fokussierung, die Ruhe.
Am Besten beginnt man mit einer praktischen Achtsamkeitsübung, z.B. „achtsames Geschirrspülen„, oder etwas anderes, ganz Alltägliches. Man versucht einfach ganz bei dieser Beschäftigung zu sein, konzentriert sich auf jeden einzelnen Arbeitsschritt und nutzt dazu die 5 Sinne. Wie fühlt es sich an, wie sieht es aus?
Der nächste Schritt wäre, sich an eine Atemmeditation heranzuwagen. Man beginnt zu Anfang am Besten mit 5 Minuten. 5 Minuten „nichts tun“ und sich mit sich zu beschäftigen können unheimlich lang sein. Aber genau dann, wenn störende Gedanken kommen, nimmt man diese zu Kenntnis, und lässt sie ziehen, um sich dann wieder auf den automatisierten Atem zu konzentrieren.
Im Alltag sind Zustände der Unruhe, Wutanfälle und Emotionen jeglicher Form normal und zeigen einfach nur, wie sehr wir schon auf „machen“ und „funktionieren“ eingestellt sind, um uns bloß nicht auf’s Wesentliche zu konzentrieren. Jedem, der sich näher mit dem Thema „Achtsamkeit“ auseinander setzen und tiefer in die Praxis eintauchen möchte, empfehle ich die Bücher von „Jon Kabat Zinn“ und besonders sein Buch „Achtsamkeit für Anfänger„.
Je mehr Achtsamkeit in dein Leben kehrt, desto intensiver und schöner wirst du auch religiöse Handlungen, Gottesdienste, und darüber hinaus jeden Moment intensiv erleben können. Dies widerum wird zu erheblich mehr Lebensqualität führen, in shaa Allah!
Ich danke dir liebe Ukhti, für dieses inspirierende Interview!
Liebe Leser/innen, ich hoffe, euch gefiel dieses Interview und ihr könnt daraus etwas mitnehmen- etwas mehr Achtsamkeit für euch selbst!
Gerade in den Monat Ramadan passt dieses Thema besonders gut, denn das Fasten ist im wahrsten Sinne auch eine Art Achtsamkeit- eine Besinnung auf´s Wesentliche und ein zu-sich kommen.
Wie ihr seht, widerspricht das Thema Meditation NICHT dem Islam, vielmehr kann man seine Gebete und seine anderen Gottesdienste (wozu mit richtiger Niyyah auch der Alltag gehört) mit diesem Flow-Zustand der Meditation noch mehr vertiefen! Wenn man möchte, kann man diesen Zusatnd in zusätzlichen Meditationen üben.
Was habt ihr für Erfahrungen mit der Meditation gemacht? Gerne dürft ihr kommentieren!
Auf eine besinnliche, meditative Zeit,
Eure Khalisa
PS: Natürlich sind weder Asiya noch ich Gelehrte des Islams, sodass dieser Artikel nur als Anregung, nicht aber als Fatwa gedacht ist!
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